Im Schilf

Felicia rannte hierhin und setzte sich ins Schilf. Sie bekam einige Kratzer ab, aber es war ihr egal. Sie ließ sich fallen und überlegte. Auf einmal spürte sie wie ihr warmes Blut aus der Wange schoss. Anscheinend hatte das Schilf ihre Wange zerkratzt. Was bin ich nur für ein Idiot? Ich bin ein völllige Null. Zuerst retten mich Vain und Cat und dann bringe ich alle in Gefahr. Das kann nicht so weitergehen. Ich muss mein Temprament zurückhalten. Sie fühlte sich schlecht. Sie war ein schlechter Mensch.

Ihr schlechtes Gewissen wurde immer größer und sie musste Vain und eventuell auch Cat finden. Sie stand auf und schnitt sich beim zurückgehen wieder an zahreichen Schilfenden. Endlich war sie aus dem Schilf herausen. Dann rannte sie mit einem völlig zerkratzten Körper zu den Wohnblöcken in ihr Zimmer.

Erst am Ufer des Sees blieben sie stehen. Viv starrte auf das Wasser hinaus...
Vivie Vivie Vivie Vivie.. war das ihr Name? Das Wort pochte in ihrem Kopf wie ein Metronom.

"Vivalie?", fragte Alysha. Kaum war sie an der frischen Luft, war ihre Wut schlagartig verpufft. Aber sie fühlte sich trotzdem noch gut. Frei.
"Was habe ich gesagt?"

"Es ist nichts.", fing Viv zögernd an. "Es ist nur dieser Name... Vivie. So wurde ich früher immer genannt." Das hatte sie noch nie jemandem erzählt... aber wozu waren Freunde da, wenn nicht um ihnen zu vertrauen? Wenn sie Alysha nicht vertrauen konnte, wem dann?

Unangenehme Erinnerungen? Das hatte Alysha nicht gewollt.
"Tut mir leid.", murmelte Alysha. "Ich wollte nicht..."

Viv winkte ab.
"Es macht nichts... ich hatte befürchtet schlimmer auf den Namen zu reagieren...", sie lächelte vorsichtig. "Ich bin mittlerweile gut darin, Erinnerungen zu verdrängen."

Alysha nickte langsam. "Letztendlich bleibt es nur ein Name... egal wie viele Erinnerungen an ihm kleben." Sie sah lange auf das Wasser hinaus und überlegte sich, ob es nicht besser war, das Thema zu wechseln.

Jake war den beiden gefolgt.
Er betrachtete sie.
"Macht euch nicht drauß. dieser Gabriel ist ein Idiot. Alysha, du brauchst keine Angst zu haben.
Ich werde einen Weg finden, dass er dich in Ruhe lässt."
Aufmunternd lächelte er ihr zu.

"Für mich ist es mehr als nur ein Name.", erklärte Viv. "Er bedeutet meine gesamte Vergangenheit, er steht für alles, was ich verloren habe." SIe versuchte ein kleines Lächeln, dann wandte sie sich an Jake.
"Es tut mir leid, das zu sagen, aber du siehst das zu optimistisch. Ich glaube kaum, das er sie einfach so in ruhe lassen wird. Er ist ein Erzengel, verbannt und verbittert." Sie sah zu Alysha hinüber. "Er versucht jemanden vor dir zu beschützen, wenn ich das richtig verstanden habe, und er scheint sich auch etwas davon zu versprechen.. daraus folgere ich, das ihr eine Abmachung getroffen habt?" Berechnend runzelte sie die Stirn.

Jakes Gesicht wurde hart.
"Alysha, hat sie Recht?"
Seine Stimme wurd leiser.
Er hatte in einigen Büchern gelsen, was das bedeutete.

Alysha wurde noch bleicher, als sie es ohnehin schon war. Wie hatte sie nur hoffen können, es vor ihnen zu verbergen? Sie wandte ihren Blick ab, sie konnte ihnen jetzt in die anklagenden Gesichter sehen. "Fragt mich nicht.", flüsterte sie. "Er wird euch töten, wenn ihr es wisst."

"Tot? Der Tod bedeutet mir nichts.
Für mich zählt nur der Schutz meiner Familie und Freunde und halt alle die mir wichtig sind.."
sagte er ernst und schaute in den Himmel.
"Aber ich werde dich nicht fragen danach, wenn du es nicht willst."

Viv lachte bitter auf.
"Ich weiß nicht mal ob ich sterben kann!" Das war ein schlagendes Argument...

Alysha schwieg und setzte sich zwischen die Schilfhalme, die leicht im Wind wehten, ans Ufer. Sie hasste dieses ganze Gerede über den Tod; es erinnerte sie an zu viele schlechte Dinge. Blitze und Stürme... Wasser überall...

Nach kurzem Zögern setzte sich Viv ebenfalls auf den Boden. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte mehr darüber erfahren, sie wollte wissen ob ihre Vermutung stimmte... Dann stellte sie eine andere Frage, die sie sich schon länger stellte.
"Glaubt ihr..:", fing sie zaghaft an. "das, was er über die Hölle und... über mich gesagt hat.. glaubt ihr, das er das wirklich wissen kann?" Angst stieg erneut in ihr auf.

Alysha überlegte sehr lange, bevor sie antwortete. Sie wusste, warum Vivalie fragte; sie hatte die Angst in ihren Zügen gesehen. Sie selber war bisher nicht einmal auf die Idee gekommen, sich vor etwas, das nach dem Tod kam, zu fürchten. Sie hatte allein schon vor dem Leben genug Angst. Zu viel Angst, um sich Sorgen um das, was danach war, zu machen.
"Ich glaube", sagte sie langsam; jedes Wort war wohl bedacht, "die Toten sind nicht mehr daran interessiert, sich zu rächen... ich denke, sie sind nur vielleicht... traurig über das, was ihnen genommen wurde... aber sie sind nicht mehr wütend, bestimmt nicht.
Und weißt du?" Sie sah Vivalie lange an. "Sollte es eine Hölle geben für Mädchen, die so sind wie du..." Sie achtete darauf ihre Stimme skeptisch klingen zu lassen; sie konnte sich nicht vorstellen, wie irgendwer wütend auf Vivalie sein konnte. "... dann werden wir wohl gemeinsam dorthin gehen müssen."

"Hm...", nachdenklich drehte Vivalie ein Schilfrohr zwischen den Fingern hin und her. Eine Spur Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
"Aber warum solltest du dort hin kommen?", fragte sie dann langsam.

Alyshas Gesicht wurde noch eine Spur bleicher. "Du bist nicht die einzige, die nicht gern über ihre Vergangenheit spricht.", murmelte sie schließlich.

Viv seufzte, das Geräusch war so leise, wie ein Windhauch. Sie wusste nicht woran es lag, doch seit sie mit Darren geredet hatte, verspürte sie immer heftiger das Bedürfnis sich irgendjemandem anzuvertrauen... und wem sollte sie es sagen, außer Alysha? Eine kleine misstrauische Stimme flüsterte, das sie niemandem vertrauen konnte, das niemand sie verstand... sie war all die Zeit ohne eine Freundin ausgekommen, warum sollte sie jetzt eine brauchen?
"Vielleicht könnten wir ja später... Informationsaustausch betreiben... oder so.", schlug Viv halbherzig vor.

Alysha hielt einen Moment regungslos inne. Sie wusste schon jetzt, dass es ihr schwer fallen würde, sehr schwer. Aber sie wusste auch - irgendwie - dass Vivalie genau das brauchte und sie womöglich auch. Vielleicht würde es besser werden - irgendwie. Also nickte sie. "Wär vielleicht gut.", nuschelte sie kaum verständlich.

Viv lächelte erleichtert. Irgendwie fiel ihr ein Stein vom Herzen.
Ein leichter Windhauch strich über den See und ließ das Schilf leicht erzittern. Es hatte etwas Friedliches, das so gar nicht zu ihrer Stimmung passte.

Jake verharrte einige Minuten und setzte sich dann neben alysha.
Gedankenverloren schaute er auf den See.
"wenn es wirklich eine Hölle geben sollte, dann müssten wir da alle hin.
Denn ich glaube, dass es niemand gibt, der sich strickt an die 10 Gebote hällt..."
meinte er nachdenklich.

Viv schnaubte.
"Keine Sorge. Es gibt ja noch das Fegefeuer."

Alysha sagte nichts dazu und betrachtete nur weiterhin den See. Er hat ja auch keine Todsünde begangen... "Hier in der Nähe ist kein Meer, oder?", fragte sie plötzlich.